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Landesregierung baut Extremismusprävention aus


1. Ausgangssituation


Extremistische Positionen und Bestrebungen sind nicht statisch, sondern verändern sich permanent im Kontext gesellschaftspolitischer Entwicklungen. Fanden gesellschaftspolitische Aushandlungsprozesse bis vor wenigen Jahren eher innerhalb fester Werte, Normen und Strukturen statt, so hat sich die Kommunikationskultur mit der Etablierung sozialer Medien grundlegend verändert. Kennzeichen heutiger Diskurse sind eine grundsätzliche Beschleunigung, die Bildung thematischer Nischen bei gleichzeitigem Bedeutungsverlust von meinungsbildenden Leitmedien sowie die Möglichkeit, sich anonym öffentlich äußern zu können.

Als Konsequenz der sich rasant wandelnden Kommunikationskultur hat sich die Art, wie sich die unterschiedlichen extremistischen Szenen und ihre Anhänger organisieren und kommunizieren, verändert. Im Rechtsextremismus, im Islamismus und auch im Linksextremismus werden in einem zunehmenden Maße jugendkulturelle Einflüsse sichtbar, der Organisationsgrad sinkt bei gleichzeitiger Fokussierung auf aktionsorientierte Angebote, und die Bedeutung der sozialen Medien steigt. Extremistische Bestrebungen sind gegenwärtig hochgradig dynamisch, Aktionsfelder und -formen wechseln schnell.

In der Folge ist zu beobachten, dass – unabhängig vom jeweiligen Extremismusphänomen – eine Vermischung extremistischer Ideologieelemente mit populistischen Positionen stattfindet. Hierdurch werden die Grenzen des vermeintlich Sagbaren verschoben und extremistische Positionen auch bis zur Mitte der Gesellschaft anschlussfähig. Gleichzeitig hat die Anonymisierung öffentlicher Online-Diskurse dazu geführt, dass extremistische Propaganda und Gewaltverherrlichung allgegenwärtig sind. Die in sozialen Medien zu erkennende Enthemmung verbleibt allerdings auch nicht in der virtuellen Welt, sondern äußert sich real, in extremer Form in Anschlägen auf Gegenstände, Personen oder sogar Personengruppen. Jüngste Beispiele sind die Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Dr. Lübcke am 2. Juni 2019, der Anschlag auf die Synagoge in Halle (Saale) am 9. Oktober 2019 sowie die Gewalttaten von Hanau am 19. Februar 2020. Der rechtsextremistisch motivierte Täter von Halle übertrug das Anschlagsgeschehen live ins Internet. Die Übertragung kommentierte er in englischer Sprache, um international verstanden zu werden.

Die durch das Internet begünstigte wechselseitige ideologische Beeinflussung über Ländergrenzen hinweg ist ein weiteres Merkmal der aktuellen Entwicklung im Extremismus. Insbesondere im Islamismus ist die Internationalität des Extremismus im Kontext des Krieges in Syrien und Irak in den letzten Jahren sehr deutlich geworden. Um den Herausforderungen, die sich durch die veränderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen stellen, gerecht werden zu können, bedarf es einer gut vernetzten, adressatengerechten und wirksamen Präventionsarbeit. Extremismusprävention ist eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung, die ausschließlich im Zusammenwirken von Staat und Zivilgesellschaft bewältigt werden kann. Auch Niedersachsen muss sich dieser Herausforderung stellen.


2. Auftrag

Der Niedersächsischen Landesregierung ist es ein herausragendes Anliegen, die Demokratie zu schützen sowie Vielfalt und Toleranz zu fördern. Deshalb misst sie der Bekämpfung von Extremismus – repressiv und präventiv – zentrale Bedeutung bei. In ihrer Koalitionsvereinbarung für die 18. Legislaturperiode haben SPD und CDU in Niedersachsen die Wichtigkeit der Präventionsarbeit hinsichtlich des politisch und religiös motivierten Extremismus betont. Dabei setzen die Koalitionspartner nicht zuletzt auch auf Landesprogramme gegen Rechtsextremismus, Linksextremismus und Islamismus. Angebote zur Prävention islamistischer/salafistischer Radikalisierung, beispielsweise der Kompetenzstelle Islamismusprävention Niedersachsen, seien auszubauen und zu vernetzen (vgl. S. 37, Randziffer 939–945).

Vor diesem Hintergrund hat die Niedersächsische Landesregierung am 16.10.2018 u. a. folgende Maßgaben für die grundsätzliche Ausrichtung der Extremismusprävention beschlossen:

  • Das bestehende Landesprogramm gegen Rechtsextremismus wird zu einem umfassenden Landesprogramm gegen den politischen Extremismus. (Arbeitstitel: „Landesprogramm für Demokratie und Prävention“) ausgebaut.
  • Die Kompetenzstelle Islamismusprävention Niedersachsen (KIP NI) wird unter Federführung des Ministeriums für Inneres und Sport zum Landesprogramm gegen Islamismus fortentwickelt.
  • Die Extremismusprävention in Niedersachsen wird gemeinsam weiterentwickelt. Dies geschieht sowohl phänomenübergreifend als auch phänomenspezifisch unter Berücksichtigung von Rechts-, Links- und islamistischem Extremismus.
  • Es findet eine enge Abstimmung der Programme untereinander statt, um Doppelstrukturen zu verhindern, Synergieeffekte zu erzielen und neue Themenfelder zu erschließen.

Außerdem hat die Landesregierung beschlossen, die Steuerungsgruppe des Landesprogramms gegen Rechtsextremismus – für Demokratie und Menschenrechte und die Steuerungsgruppe der Kompetenzstelle Islamismusprävention Niedersachsen zu beauftragen, gemeinsam Vorschläge zur Weiterentwicklung der Extremismusprävention in Niedersachsen zu erarbeiten.

Dem Rechnung tragend, ist eine gemeinsame Lenkungsgruppe Extremismusprävention eingerichtet worden, die bis Dezember 2019 Zielstrukturen und Handlungsfelder für zwei Landesprogramme erarbeitet und abgestimmt (s. Anlagen) sowie fachliche Schnittstellen erörtert hat.


3. Entwicklungsprozess Landesprogramm für Demokratie und Menschenrechte

Der zu Grunde liegende Kabinettsbeschluss vom 16.10.2018 enthielt den Auftrag, u. a. folgende Gesichtspunkte bei der Weiterentwicklung des Landesprogramms zu berücksichtigen:

  • Die Weiterentwicklung erfolgt unter Berücksichtigung entwicklungsorientierter Präventionsstrategien.
  • Die Kommunale Prävention wird stabilisiert und gestärkt.
  • Eine Qualifizierungsoffensive für Fachkräfte wird begonnen.
  • Strategien zur nachhaltigen Prävention von Linksextremismus werden entwickelt und etabliert.
  • Die Prävention von Antisemitismus wird als phänomenübergreifend relevantes Handlungsfeld in das Landesprogramm integriert.
  • Angebote der politischen Bildung und Demokratiebildung werden mit dem Ziel weiterentwickelt, universelle präventive Wirkungen zu entfalten.

Darüber hinaus war der Stand der wissenschaftlichen Forschung zur qualitativen Weiterentwicklung der Extremismusprävention zu berücksichtigen. Zu diesem Zweck hat die Koordinierungsstelle des Landesprogramms deshalb ein Gutachten der Friedrich-Schiller-Universität Jena eingeholt, das eine umfassende Metaanalyse zum Stand der internationalen Forschung zur Prävention von Rechtsextremismus und Radikalisierung enthält. In diesem Gutachten sind alle empirisch belegten und nachweislich für die Entwicklung von (rechts-)extremistischen Einstellungen und Verhaltensweisen relevanten Einflussfaktoren zusammengefasst. Darüber hinaus werden Handlungsempfehlungen für Maßnahmen der entwicklungsorientierten Extremismusprävention gegeben.

Des Weiteren sind Erkenntnisse und Empfehlungen der externen Evaluation des Landesprogramms, des Praxisbeirates und des Arbeitskreises Entwicklungsorientierte Prävention und Bildung in die Zielentwicklung eingeflossen.

Auf dieser Basis sind die zukünftigen Ziele und Handlungsfelder des Landesprogramms neu gefasst und am 17.06.2019 von der aus Vertretern der betroffenen Ministerien und der Zivilgesellschaft bestehenden Steuerungs-AG des Landesprogramms verabschiedet worden. Zugleich ist eine Umbenennung des Programms in „Landesprogramm für Demokratie und Menschenrechte“ beschlossen worden.


4. Entwicklungsprozess Landesprogramm für Islamismusprävention

Am 21.01.2019 hatte die Lenkungsgruppe Extremismusprävention entschieden, die Kompetenzstelle Islamismusprävention Niedersachsen (KIP NI) in ein Landesprogramm für Islamismusprävention zu überführen. Bis September 2019 ist sodann eine Zielstruktur für das Landesprogramm erarbeitet worden. Dabei galt es die bisherigen Organisationsstrukturen der KIP NI sowie die Arbeitsfelder der an der KIP NI beteiligten Ressorts in die Zielstruktur zu überführen. Folgende inhaltliche Schwerpunkte wurden in diesem Prozess gesetzt:

  • die Fortentwicklung und Umsetzung von Präventionsstrategien,
  • die inhaltliche Intensivierung und der Ausbau der Netzwerkarbeit,
  • die Stärkung regionaler Präventionsangebote,
  • die Gewährleistung der Informationsvermittlung,
  • die Bereitstellung von Interventions- und Deradikalisierungsangeboten,
  • eine Sicherung der inhaltlichen Qualität.

Des Weiteren erhält das Landesprogramm für Islamismusprävention die Bezeichnung „Kompetenzforum Islamismusprävention Niedersachsen“. Die bereits etablierte Kurzform KIP NI ist beibehalten worden.


5. Zusammenfassung/Beschluss

Auf der Grundlage der vorstehend unter 3 und 4 dargestellten Arbeitsergebnisse hat die ressortübergreifende Lenkungsgruppe Extremismusprävention Handlungsfelder für zwei Landesprogramme festgelegt, Zielkataloge definiert (s. Anlagen) sowie fachliche Schnittstellen erörtert und abgestimmt.


„Landesprogramm für Demokratie und Menschenrechte“

Leitziel: „Das Landesprogramm fördert und stärkt freiheitlich-demokratische und menschenrechtsorientierte Einstellungen und Verhaltensweisen und wirkt politisch motiviertem Extremismus präventiv entgegen.“

Das Landesprogramm für Demokratie und Menschenrechte umfasst Maßnahmen zur Prävention des Rechtsextremismus, des Linksextremismus sowie phänomenübergreifende Präventionsansätze wie die Prävention des Antisemitismus, die frühe, entwicklungsorientierte Prävention sowie Maßnahmen der Demokratiebildung. Die Koordinierungsstelle ist im niedersächsischen Justizministerium, Geschäftsstelle des Landespräventionsrats, eingerichtet.


„Landesprogramm für Islamismusprävention“

Leitziel: „Das Landesprogramm gewährleistet durch eine gut aufeinander abgestimmte Handlungsstrategie eine ganzheitliche Islamismusprävention in Niedersachsen.“

Das Landesprogramm für Islamismusprävention trägt den Namen „Kompetenzforum Islamismusprävention Niedersachsen“ (KIP NI) und beinhaltet spezifische Maßnahmen zur Prävention des Islamismus sowie zur Deradikalisierung. Die Koordinierungsstelle besteht aus Vertreterinnen und Vertretern von Verfassungsschutz und Landeskriminalamt und ist im Niedersächsischen Ministerium für Inneres und Sport eingerichtet.

Zur Gewährleistung einer abgestimmten Extremismusprävention in Niedersachsen stehen die Koordinierungsstellen beider Landesprogramme in engem fachlichen Austausch. Die ressortübergreifende Lenkungsgruppe Extremismusprävention tagt mindestens einmal jährlich, im Übrigen anlassbezogen.

Die Umsetzung der Landesprogramme obliegt den beteiligten Ministerien (MI, MJ, MK, MS, MWK) in eigener Verantwortlichkeit.


Haushaltsmittel: Im Jahr 2020 stehen für die Umsetzung des Landesprogramms für Demokratie und Menschenrechte 1.467.000 € und für das Landesprogramm für Islamismusprävention 1.222.000 € zur Verfügung.


Erreichbarkeit Landesprogramm für Demokratie und Menschenrechte:

Koordinierungsstelle im Niedersächsischen Justizministerium, Referat 405 (Landespräventionsrat Niedersachsen)

Tel: 0511 120 8723 und -8721

kostlp@mj.niedersachsen.de


Weitere Informationen: www.landespraeventionsrat-niedersachsen.de 



 

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