KIPNI-Jahrestagung 2025
Die zwei Geschäftsführerinnen des KIP NI, Daniela Schlicht, Verfassungsschutz Niedersachsen und Lisa Borchardt, Landeskriminalamt Niedersachsen, betonten in ihrem Geschäftsbericht: „Wir stehen in der Islamismusprävention alle vor der gleichen Herausforderung: Durch gesellschaftliche Krisen ausgelöste Verunsicherungen und Ängste können Radikalisierungsprozesse und antidemokratische Haltungen bei Kindern und Jugendlichen befördern“, so Schlicht. Lisa Borchardt: „Wir haben über die Jahre gelernt, dass wir verlässliche Strukturen benötigen, um insbesondere Kinder und Jugendliche wirksam vor extremistischer Einflussnahme zu schützen, sowie stabile Netzwerke, die in konkreten Fällen von Radikalisierung wie Zahnräder ineinandergreifen.“ Am KIP NI beteiligte Mitarbeitende des Landespräventionsrates, von beRATen e. V. und der Regionalen Landesämter für Schule und Bildung stellten dar, welche Projekte und Maßnahmen ihrerseits bezüglich des Tagungsthemas durchgeführt werden.
In dem ersten Fachvortrag referierte Prof. Dr. Andreas Zick, Professor für Sozialisation und Konfliktforschung, wissenschaftlicher Direktor des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung an der Universität Bielefeld, über „Radikalisierung in der Adoleszenz - Psychosoziale Spannungen, Räume der Resonanz und präventive Verantwortung“. Er betonte, dass viele junge Menschen das Gleichheitsversprechen der Demokratie als nicht eingelöst erleben. Dieses Gefühl mangelnder Teilhabe und Anerkennung begünstige ihre Anfälligkeit für radikale Narrative.
Daran anschließend ging Prof. Dr. Naika Foroutan, Professorin für Integrationsforschung und Gesellschaftspolitik an der Humboldt-Universität zu Berlin, Direktorin des Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM), auf Perspektiven für die Prävention hinsichtlich hybrider Identitäten in Kindheit und Jugend ein. Sie führte aus, dass in Deutschland über Jahrzehnte hinweg Integrations- und Förderangebote für muslimische Communities unzureichend gewesen seien und dass noch immer Defizite in der Anerkennungspolitik bestünden.
In dem anschließenden von Andrea Oster, Journalistin und Moderatorin beim WDR 5, moderierten Podiumsgespräch veranschaulichten Zick und Foroutan, dass die aktuell zu beobachtenden Radikalisierungsprozesse durch internationale politische Dynamiken verstärkt würden. Zudem betonten sie den Einfluss sozialer Medien, bezüglich derer jungen Menschen oftmals die Fähigkeit fehle, die Inhalte einordnen zu können. Foroutan forderte mehr Transparenz seitens staatlicher Stellen im Umgang mit Desinformation, während Zick betonte, dass vor allem Kinder und Jugendliche besser auf digitale Gefahren vorbereitet werden müssten. Einig waren sich beide Diskutierenden, dass Verbote sozialer Medien kaum Wirkung entfalten würden. Stattdessen bedürfe es mehr ansprechbarer Vertrauenspersonen, insbesondere mit Migrationshintergrund (z. B. aus den Bereichen der Sozialarbeit oder der Polizei), um Zugang zu jungen Menschen zu schaffen und ihnen Orientierung und Unterstützung bieten zu können. Diese Einschätzungen wurden auch in den Publikumsfragen bestätigt, die sich überwiegend auf die Rolle sozialer Medien bezogen.
Der Workshop „Umgang mit Gruppendynamiken im Klassenzimmer am Beispiel Nahostkonflikt“ simulierte anhand kontroverser Themen des Nahostkonflikts Gruppendynamiken, um Interaktion und Meinungsbildung anzuregen. Es wurden Methoden vermittelt, wie mit emotionalen Themen im Unterricht umgegangen werden kann. Der Workshop wurde von einer Referentin von beRATen e. V. angeboten.
Der Workshop „Schülerinnen und Schüler in Radikalisierungsprozessen. Möglichkeiten, Chancen und Grenzen der Beratung und Unterstützung durch schulische Beratungsteams“ lieferte eine theoretische Fundierung zu Radikalisierungsmodellen und führte eine Fallarbeit zu möglichen Gesprächsansätzen und Netzwerkpartnern durch. Es wurde die herausragende Bedeutung von Beziehungsarbeit, Vernetzung und dem Abbau von Vorurteilen im schulischen Kontext betont. Der Workshop wurde von Mitarbeitenden der Regionalen Landesämter für Schule und Bildung durchgeführt.
Der Workshop „Radikalisierung und sozialer Nahraum, Quartiersentwicklung, lokale Netzwerke“ stellte die präventive Rolle der Gemeinwesenarbeit durch Netzwerke und lokale Projekte dar und unterstrich die Wichtigkeit des frühzeitigen Aufbaus von Vertrauen zur Schaffung von Resilienzen gegen Radikalisierung. Dieser Workshop wurde von Mitarbeitenden der LAG Soziale Brennpunkte Niedersachsen e. V. durchgeführt.
Im Verlauf der Tagung konnten die Tagungsteilnehmerinnen und -teilnehmer über Mentimeter-Abfragen ihre Eindrücke einbringen. Es wurde deutlich, dass auch aus dem Publikum die derzeit größte Herausforderung in der Islamismusprävention insbesondere im Umgang mit den sozialen Medien gesehen wird. Mit Sorge wurde darüber hinaus die wahrgenommene Polarisierung der Gesellschaft genannt sowie als Herausforderung der Zugang zu jungen Menschen. Die Wichtigkeit guter Netzwerke in der Extremismusprävention wurde abschließend als wichtiges Fazit von vielen Teilnehmenden formuliert.

